Roman & Hörbuch: 180° Meer von Sarah Kuttner

Der erste Absatz aus 180° Meer:

Ich bin kein schöner Mensch.
Meine Aura ist irgendwie zahnfarben. Nicht offwhite, nicht creme. Nicht einmal neutral beige.

Ich denke: Cool, ein neuer Roman von Sarah Kuttner. Muss ich nicht wissen worum es geht, ich habe ihren ersten gelesen und die Verfilmung gesehen und den zweiten als Hörbuch gehört. Sie ist nicht die perfekte Vorleserin, aber ähnlich wie Thees Uhlmann kann sie ihre Protagonisten mit Leben füllen. Und sie schafft es, dass ich immer wieder denke, ja! Genauso ist es. Sie ist Meisterin der Identifikation, der Findung von passenden Worte für Situationen, die ich, die wir alle kennen. Zumindest war das so.

Noch keine fünf Minuten im Hörbuch und ich ahne, dass es diesmal anders ist. 6 Stunden später bin ich mir sicher. Ich mag Sarah Kuttner. Ich mag ihre Sendung Kuttner plus Zwei. Ich will dieses Buch mögen und gut finden. Kann ich aber nicht.

Klar, da sind immer noch viele kleine Identifikationsmöglichkeiten, viele schöne Metaphern, viele schöne Worte. Aber die große Story einer mittelmäßigen Sängerin, deren Leben zusammenbricht und sie einfach so für Monate nach London zu ihrem Bruder zieht und ihren todkranken Vater nicht besuchen und auch sein Geld nicht haben will, weil er die Familie damals verlassen hat, funktioniert für mich überhaupt nicht.

Die anderen Bücher waren Geschichten von Menschen, die wie du und ich sind. Oder wie Freunde von uns. Das funktioniert diesmal nicht. Diese Story kann ich einfach nicht glauben. Dazu kommt noch ein komischer Sprachgebrauch, der früher entweder nicht da war oder mir nicht aufgefallen ist, eine Art von Derbheit, bei der ich an Charlotte Roche denken musste, die hier aber gewollt klingt.

Dann das Hörbuch. Was beim letzten wirklich gut funktioniert hat, geht hier vollkommen schief. Das liegt erstens an ihrer Stimme. Ich weiß nicht genau, was kaputt ist, aber irgendwas ist kaputt. Ich meine mich erinnern zu können, auch schonmal gehört zu haben, dass wegen irgendwas ihre Stimme sehr kratzig und schwach ist. Was in der Sendung für ein paar Anekdoten und Fragen noch reicht, funktioniert auf Dauer überhaupt nicht. Mir fällt es schwer, Kuttners Stimme über lange Zeit zuzuhören.

Zweitens fallen mir falsch ausgesprochene Worte mittlerweile viel zu sehr ins Gewicht. Es heißt nicht ebend. Es heißt eben. Sobald mir das einmal aufgefallen ist, werde bei jedem weiteren ebend nur noch verrückter. Und das bleibt ja nicht das einzige Wort.

Drittens und am Schlimmsten: Kuttner liest nicht konsequent. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Hörbuch zu lesen. Entweder bin ich der Erzähler und erzähle die Geschichte aus der Haltung des Erzählers. Dann gucke ich von außen auf die Handlung und kann sie auch kommentierend lesen. Oder ich bin der Protagonist. Dann bin ich traurig, wenn der Protagonist traurig ist. So hat Kuttner das letzte Buch gelesen. Bei diesem wechselt sie zwischen diesen Positionen. Manchmal hat sie die Emotion und Haltung der Protagonistin, gibt Jule also ihre Stimme, manchmal ist sie aber Sarah Kuttner, die diese Geschichte liest und eben auch kommentiert. Dann höre ich ein Lächeln an Stellen, an der ich als Zuhörer lächeln kann, Jule aber auf keinen Fall lächeln wird. Spätestens diese Inkonsequenz macht mir das Hörerlebnis vollends kaputt. Ich kann sie leider nicht ernst nehmen.

180° Meer ist weder die auf dem Klappentext versprochene Roadnovel, noch das Buch oder Hörerlebnis, das ich mir von Sarah Kuttner erhofft habe. Ich kann ihn nicht empfehlen, weder das Hörbuch, noch den Roman. Ich hoffe auf den nächsten. Solange sehe ich mir ihre Sendungen an.

180° Meer von Sarah Kuttner erschien als Roman bei S. Fischer, das Hörbuch erschien bei Argon. Beide Verlage haben mir Rezensionsexemplare zur Verfügung gestellt.

 

 

 

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