Der erste Satz aus Das Nest geht über die halbe erste Seite und ist wohl der längste im ganzen Buch. Ein Buch über die mittlerweile erwachsenen vier Geschwister Plumb, die eigentlich jeweils 500.000 Euro aus einem Fond bekommen sollten, wenn Melody, die Jüngste, 40 wird. Aber wenige Monate vorher verursacht Leo, der Älteste, einen Vorfall, der das Geld fast vollkommen aufbraucht.
Die Geschwister hatten mit dem Geld gerechnet, das Leben damit geplant und haben jetzt mehr oder weniger Probleme. Und sie müssen, obwohl ihre Leben weit auseinander gedriftet sind, sich wieder miteinander beschäftigen.
Cynthia D’Aprix Sweeney erzählt ausschweifend, detailliert, breit. Es geht nicht nur um die vier Geschwister, sondern auch um ihre Mutter, ihre Kinder und Lebenspartner, ihre Arbeitskollegen und sonstige Menschen, die mit ihnen zusammentreffen. Wir lernen die Hintergründe, die Motivationen und die Wünsche kennen. Und Dutzende Handlungsstränge. nach einem Drittel des Romans ist mir klar, dass es gar nicht um die Familie geht und wie sie ihre Geldprobleme lösen. Sondern um das Gesellschaftsbild, welches D’Aprix Sweeny zeichnet. Dieses ist tatsächlich spannend, weil sie immer wieder Charaktere erzählt, die ich kenne, die jeder aus seinem Leben kennt. Insofern lache und nicke ich und sage, jaja, kenn ich auch! Und am Ende bin ich auch berührt.
Aber Das Nest hat auch extrem langatmige Strecken. Episoden, bei denen ich mir bis heute nicht sicher bin, ob ich sie gebraucht hätte. Machmal kommt mir die Grenze dessen, was noch erzählt wird, und was dann zu viel ist, willkürlich vor.
Bevor ich das Buch angefangen habe, war ich auf der Lesung von Cynthia D’Aprix Sweeney und Johann von Bülow, der das Hörbuch gesprochen hat. Natürlich weiß sie, welche Stellen sie heraussuchen muss, natürlich kann er die Stellen so lesen, dass man Lust auf mehr hat. Also höre ich mir das gesamte Buch an, 12 Stunden.
Ich bin oft überrascht, auf der Bühne liefert Johann von Bülow eine großartige Show und es ist toll, ihm zuzuhören. Aus 12 Stunden gedehnt fällt er mir zu oft in einen coolen Duktus, lässt fast alle Figuren mit einer ähnlichen Art von Überheblichkeit sprechen und denken, sodass ich mir manchmal denke, vielleicht hätten sie anders gewirkt, wenn ich es selbst gelesen hätte. Auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob ich es tatsächlich komplett gelesen hätte, weil, wie gesagt, war er mir Streckenweise viel zu lang.
Ich weiß, Das Nest ist international erfolgreich und wird für Amazon verfilmt. D’Aprix Sweeney, sie schreibt auch das Drehbuch, meinte nach der Lesung zu mir, dass viel gekürzt wird, um den Stoff auf Filmlänge zu bekommen. Das kann dem Buch ganz gut tun. In der jetzigen Form fand ich Buch und Hörbuch nett, aber in keine Richtung herausragend.
Das Nest von Cynthia D’Aprix-Sweeney wurde übersetzt von Nicolai Schweder-Schreiner und erschien bei Klett-Cotta. Das Hörbuch wurde gesprochen von Johann von Bülow und erschien bei Der Audio Verlag. Der Verlag hat mir Rezensionsexemplare zur Verfügung gestellt.
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