Zuletzt aktualisiert am 05.06.2019
Ist das sowas wie Logopädie?
Sowas kann man studieren?
Das sind die ersten Fragen, die fast immer gestellt werden, wenn ich erzähle, was ich studiere. Sprechkunst und Kommunikationspädagogik. Auch Sprecherziehung genannt. An der staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart. Auch Musikhochschule oder HMdK genannt. Deshalb vergessen die Menschen das so oft, es gibt da auch andere Sachen neben der Musik. Der Großteil der Leute weiß nicht, was das ist, Sprechkunst. Wenn ich das dann aber erkläre, dann sind ganz viele begeistert und wollen mehr wissen.
Deshalb hier eine Sammlung an Antworten rund um das Sprechen und diesen Studiengang.
Ich habe in Stuttgart von 2010 bis 2014 studiert. Dieser Artikel basiert auf meiner eigenen Meinung und meinem Wissensstand, ich übernehme also keine Gewähr, aber habe alles nach bestem Gewissen geschrieben und werde ihn bei Bedarf auch erweitern oder abändern.
Aber was ist denn nun Sprechkunst und Kommunikationspädagogik?
Sprechkunst heißt, ich lerne, in jeder Situation optimal zu sprechen. Wikipedia sagt:
Die ästhetische Kommunikation […] beschäftigt sich mit der Theorie und praktischen Umsetzung des Sprechens von literarischen Texten (Gedichte, Reden, Schauspiel etc.). Ziel ist es, eine angemessene Interpretation und Vortragsform des jeweiligen Textes zu finden.
Das reicht vom ursprünglichen künstlerischem Vortrag auf der Bühne über die Moderation eines Musikabends bis hin zum Mediensprechen, also alles, was am Mikrofon in einer Kabine passiert: Radio, in all seinen Facetten von Nachrichten über Moderation und Reportage, Fernsehen in seinen Facetten, aber auch Synchronsprechen, Hörbücher und Hörspiele.
Darüber hinaus – und das ist der Teil der Kommunikationspädagogik – lerne ich, das alles und noch viel mehr auch wieder anderen beizubringen. Ich arbeite später also mit Menschen, die in ihren Berufen viel sprechen und kommunizieren. Das reicht vom Lehrer über den Schauspieler und Moderator bis hin zum Politiker oder Handelsvertrter
Und was genau mache ich dann später damit?
Nunja, einerseits Künstler werden, auf der Bühne stehen und Texte rezitieren / vortragen / slammen / darbieten / performen. Oder zum Radio / Fernsehen / in die Medien gehen. Zum anderen eben Trainer werden. In der VHS / Schauspielschule / im Radiosender Leute unterrichten und ihnen das Kommunizieren beibringen. Im weiten Sinne des Wortes. Da gehört neben der Hochlautung (das ist der richtige Name für das, was die Menschen gemeinhin als Hochdeutsch bezeichnen) und der Phonetik auch die Körperarbeit dazu. Und die Rhetorik. Grundsätzlich ist die Bandbreite der Möglichkeiten groß, man muss „nur“ im richtigen Feld seine Standbeine aufbauen können.
Wie sieht das Studium so aus?
Wir sind pro Semester etwa 8 Leute, in Ausnahmesituationen auch mal 10. In den letzten Jahren haben sich durchschnittlich 80 Leute auf diese 8 Plätze beworben, Tendenz steigend. Aber zum Aufnahmeverfahren kommen wir später noch.
Bei so einem kleinen Studiengang ist das Studium selbst viel persönlicher und direkter. Einfach mal krank machen und jemand anderen die Unterschrift auf der Anwesenheitsliste fälschen lassen, ist nicht. Das fällt auf. Generell ist das Studium sehr intensiv. Es gibt regelmäßigen Einzelunterricht – Sprechen und Gesang, je nach Profilwahl auch Mediensprechen – und Workshops von Profis in allen möglichen Facetten des Kommunizierens. Ebenso ist es ein sehr praktisches Studium. Wir haben viel Bewegungsunterricht: Atem & Stimme, Schauspielunterricht und Rhythmik. Dazu kommen viele Sprechprojekte, die Rhetorikvorträge und die Unterrichtspraxis. Die theoretischsten Sachen, die wir im Laufe des Studiums haben, sind Phonetik, Anatomie, Literatur und Methodik und Didaktik. Aber selbst in diesen Fächern wird extrem viel praktisch gemacht. Einen genauen Einblick gibt es im den Modulbeschreibungen.
Man verbringt viel Zeit mit Texten, das lesen, lernen und sprechen. Aber eben auch generell viel Zeit mit allem, was kommunizieren im großen Stil angeht. Insgesamt geht der Bachelor vier Jahre. Zwei Jahre Grundstudium, dann entscheidet man sich für eines von vier Profilen: Mediensprechen, Rhetorik, Sprecherziehung oder Sprechkunst. Der Master in den gleichen Profilen dauert dann noch ein Jahr.
Und wie kommt man da rein?
Wie oben schon angesprochen gibt es eine Aufnahmeprüfung. Das ist erstmal abschreckend, aber eigentlich ganz cool. Denn es ist egal, was für Noten man hat, oder ob überhaupt Abitur. Man kann quasi in drei Tagen zeigen, was man drauf hat und warum man das studieren will. „Quasi“ deshalb, weil man erst durch die ersten 10 Minuten kommen muss. Hier die offiziellen Informationen zur Aufnahmeprüfung. Die Aufnahmeprüfungen sind meist zwischen Mitte bis Ende Juni eines Jahres, die Bewerbungsfrist bis 15. April eines Jahres. Exaktere Daten gibt bei Verfügbarkeit unter den Wichtigen Terminen der Hochschule.
Die ersten 10 Minuten sind die Hauptaufnahmeprüfung. Alles andere kommt später. Man muss mindestens zwei Texte (ein Prosa, ein Lyrik, aus zwei verschiedenen Jahrhunderten) mit einer Gesamtlänge von rund 10 Minuten (das ist eine Angabe aus 2013, das kann sich auch ändern, dafür die Anforderungen für die Aufnahmeprüfung genau lesen) frei vortragen können. Es können natürlich auch mehrere kurze Texte vorgetragen werden, solange sie insgesamt nicht länger als die 10 Minuten sind und sowohl Prosa, als auch Lyrik dabei ist und die verschiedenen Jahrhunderte abgedeckt sind. „Frei“ bedeutet auswendig. Dabei achten die Prüfer auf eine saubere Aussprache, wenn es geht dialektfrei und frei von zu tiefen Sprachfehlern. ( Aber man muss ja eh‘ zuvor zum Phoniatrer / HNO-Arzt zwecks des Gutachtens). Dann sollten die Texte auch mit einer gewissen Ansprechhaltung und passenden Hintergedanken präsentiert werden.
Aber das ist ja die Aufnahmeprüfung für das Studium, heißt, man muss nicht perfekt sein, man lernt noch viel im Studium. Deshalb fragen sie einen auch nach der Motivation, hier zu studieren und dafür sollte man auch eine gute Antwort parat haben. Im Sinne von, „einfach mal so“ sprechen zu studieren wird wohl eher schwer sein als Rechtfertigung, warum ausgerechnet man selbst in diesem Studiengang aufgenommen werden sollte.
Welche Texte sollte man vortragen?
Welche Texte man macht, ist einem innerhalb der Rahmensetzung (ein Prosa, ein Lyrik, aus zwei verschiedenen Jahrhunderten) frei. Bisher ist der Tenor, die Kommission freut sich auf unbekannte, vielleicht sogar eigene Texte. Manche Texte hört man extrem oft, das muss nicht sein. Und wenn man selbst dann noch was mit den Texten verbindet, umso besser. Wenn es Texte gibt, die einen schon eine Weile begleiten, wieso nicht diese nehmen? Das spürt man dann auch. Natürlich darf es auch ein eigener Text sein. Zusätzlich zu den erarbeiteten Texten und der Frage gibt es in dieser Runde ein Gedicht, für das eine Dreiviertelstunde Zeit zum proben hat (niemand verlangt, dass man es in der Zeit auswendig kann) und einen Text, den man prima vista liest, also direkt beim ersten Lesen laut vorliest.
Wenn man diese Runde schafft, hat man den Großteil hinter sich. Hier werden etwa 60% der Bewerber ausgesiebt. Die Restlichen dürfen alle folgenden Prüfungen machen. Dazu gehört eine mündliche Interpretation eines Gedichtes (oft jenes, welches man am Tag zuvor bekommen hat, um es zu sprechen). Dabei wird man von unseren Literaturprofessoren zu dem Gedicht befragt, vielleicht 15 Minuten lang. Dann gibt es eine schriftliche germanistische Aufgabe, die man in einer Stunde bewältigen muss. Also einen Text analysieren oder interpretieren. Ähnlich wie im Abi, nur viel weniger, man hat ja auch viel weniger Zeit. Dann gibt es eine rhetorische Prüfung, man bereitet eine Rede von 3-4 Minuten zu einem vorgegebenem Thema vor und wird danach vom Professor zu diesem Thema noch befragt. Meiner Meinung nach kommt es ihm aber mehr auf die Fähigkeit an, wie man auf Konter reagiert, als auf den tatsächlichen Wissensstand. Und zum Schluss gibt es eine rhythmische Prüfung. Rhythmik ist tatsächlich ein Abfragen der motorischen Fähigkeiten. Man ist da mit etwa 5 anderen Leuten in einem Raum, läuft im Takt einer Musik, muss den Takt halten können, ein Bewusstsein dafür haben, wo die anderen im Raum sind und was sie machen und so weiter.
Das ist alles. Geht insgesamt drei Tage, meist so Mitte bis Ende Juni. Und dann hofft man etwa drei Wochen auf eine Zusage. Falls es nicht klappt, man kann es ein zweites Mal probieren.
Wer mehr Infos zum Studiengang will, im heldenheft 02/14 gibt es ein Interview mit mir über den Studiengang. Seite 14 geht es los. Und darüber hinaus gibt es eine Facebookseite, die ganz aktuell über den Studiengang, aber auch über Veranstaltungen von Studierenden informiert.
Wenn man sich wirklich für den Studiengang interessiert, darf man sich entweder bei mir melden oder bei der:dem zuständigen Tutor:in für Öffentlichkeitsarbeit: Tutoriat-Institutsleitung-Sprechkunst@hmdk-stuttgart.de
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