Wolfgang sagt, „Benedict Wells liest im Wizemann in Stuttgart. Willst du mit mir hingehen?“ Ich so, „Klar.“
Benedict ist nur ein Jahr älter als ich und ich konnte seiner Karriere aus der Ferne (immer Mal wieder auch neidisch) zusehen. Und spätestens, seit er im April ein paar wunderschöne Worte über „Immer noch wach“ geschrieben hat, ist er der Beste.
Das letzte Mal war ich 2017 bei T.C. Boyle bei einer Lesung im Wizemann. Ein großer Saal voller euphorischer Menschen und ein großartiger Abend, damals. Diesmal auch, nur mit Maske.
In Konzertmanier ist der Einlass verzögert, aber trotz aller Kontrollen sehr flüssig und reibungslos. Mit freier Platzwahl und früh genug da sein sitzen wir in der zweiten Reihe in der Mitte. Auf der Bühne eine Mischung aus Wohnzimmer und Kinokasse, mit Filmrollen und Postern und Wohnzimmerlampen und Popcornmaschine und altem Kinoschild.
Jakob Brass kommt auf die Bühne und spielt eine Acoustic-Version von Springsteens „I’m on fire„, warm und sanft und gefühlvoll. Danach holt er Benedict Wells auf die Bühne und der Saal jubelt und applaudiert, bis er sagt, „wir haben doch noch gar nichts gemacht!“
Ich habe Benedict nie kennengelernt, und mein Bild war, dass er selten Interviews gibt, eher schüchtern ist und sich bedeckt hält. Auf der Bühne aber steht ein Mann, der richtig Spaß hat und all das genießt. Keine Rampensau, aber jemand, der eine sehr gute Zeit hat.
Er zeigt uns seine Sneaker (so nah an „Zurück in die Zukunft, wie möglich, viel zu teuer und zu klein), Jakob und er erzählen ein bisschen was und wir lachen schon zum ersten, zweiten, dritten Mal. Von Anfang an findet alles auf der Bühne und irgendwie auch im Saal auf Augenhöhe statt. Trotz Maske und Abstand ist sofort ein Raum da, in dem wir uns wohlfühlen können.
Benedict erzählt von der Entstehung von Hard Land und erwähnt dabei seine Inspirationen und Vorbilder, wie Joey Goebel, Stephen Chbosky und Wolfgang Herrndorf, aber auch John Hughes, John Cusack und die „Zurück in die Zukunft“-Reihe.
Nach seinen Lesepassagen steigt Jakob mit der Musik ein, manchmal eigene Songs aus dem neuen Album „Circletown“, manchmal eigene Versionen typischer 80er-Songs, wobei es nie einfach ein abwechselndes Programm ist, sondern immer mehr Soundtrack zu der Szene, die wir gerade gehört haben.
Irgendwann lässt Benedict das Publikum Fragen stellen und ich bin schon bereit, dass die Show gleich zu Ende sein wird. Stattdessen geht es danach einfach weiter. Wie simpel es ist, diese alte Struktur von Lesungen aufzubrechen, aber unglaublich erfrischend.
Am stärksten wird der Abend dann, wenn Benedict seine Unsicherheiten zeigt. Wenn er beispielsweise von seinem jahrelangen Kampf mit seinen Texten erzählt, die er immer noch nicht so gut findet, wie sie sein könnten. Oder wenn er eine Passage liest und dann bemerkt, dass er einen Teil vergessen hat. Oder, wenn er sich ganz am Ende bedankt und die letzte Passage liest, das Publikum applaudiert und Jakob seine langsame Akustikversion von Green Days „Good Riddance (Time of your life)“ spielt und den zweiten Refrain plötzlich Benedict singt.
Er ist unsicher und tatsächlich kein geborener Sänger und er sieht auch danach so aus, als hätte er das nur getan, weil er eine Wette verloren hat. Aber dieser Mut, sich an diesem Abend regelmäßig so verletzlich zu zeigen, macht diese Show so großartig.
Die Schlange am Merch-Stand ist viel zu lang und Elena von Emerald Notes erzählt später, dass sie noch bis nach Mitternacht dort standen. Da bin ich schon längst wieder zu Hause, beseelt und positivst überrascht. Danke dafür.
Benedict Wells und Jakob Brass sind noch bis 15. November unterwegs, vielleicht bekommt ihr noch Tickets. Es lohnt sich.
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