Ich sitze auf der Bank und warte auf die Bahn. Neben mir sitzt ein Mann, vielleicht doppelt so alt wie ich. Sein Haar ist dunkel und mit silbernen Strähnen durchzogen und geht in den Bart über. In seinen Händen hält er eine Pappschachtel, die aussieht, wie ein Schuhkarton für Kinderschuhe. Im Deckel ist ein Loch. Der Mann hebt die Schachtel in die Höhe und drückt ein Auge an das Loch, das andere kneift er zu. So sitzt er neben mir, die Beine übereinandergeschlagen und unter der Schachtel sehe ich ihn immer wieder grinsen. Irgendwann nimmt er die Schachtel runter und ich tue so, als hätte ich ihn nicht beobachtet. Trotzdem spricht er mich an. „Wissen Sie“, sagt er, „hier drin ist das Leben.“ Ich sehe zur Schachtel rüber, die er mit beiden Händen hält. „Wenn ich hier rein sehe, durch das Loch, dann kann ich das Leben beobachten.“, sagt er. „Nicht das ganze Leben, nur einen Ausschnitt. Und nur in kleiner Form.“ Er lacht. „Weil mehr passt da auch nicht rein.“ Gemeinsam sehen wir uns die Schachtel an. Seine Finger streichen über die Oberfläche. „Sie wären erstaunt, das Leben aus dieser Perspektive zu sehen.“, sagt er. „Das Leben hier drin zeigt ganz deutlich, wie merkwürdig das Leben hier draußen ist. Deshalb kann ich mein Leben hier draußen einfacher leben.“ Für einen Moment blickt er auf die Schachtel, dann hebt er sie wieder an sein Auge. Für ein paar Minuten sitzen wir nebeneinander und der Mann kichert immer wieder. Dann reißt er die Schachtel runter und sieht zur Uhr. „Ich muss los“, sagt er springt auf und steigt in die Bahn, die gerade vor uns steht. Die Schachtel hat er neben mir liegen lassen. Ich sehe zu ihm, durch die Scheibe und zeige auf die Schachtel. Doch er lächelt und nickt und zeigt auf mich. Dann winkt er und verschwindet im Tunnel. Ich hebe die Schachtel auf und bin erstaunt, wie leicht sie ist. Vorsichtig hebe ich sie an mein Auge und kneife das andere zu. Jetzt bemerke ich, dass der Boden der Schachtel voller kleiner Löcher ist und ich durch ihn hindurch sehe.
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